Bevor man sie sieht, umfängt einen bereits ihr Duft. Das kleine Haus im unterfränkischen Untereisenheim ist davon vollständig erfüllt, ebenso wie das Leben von Marius Wittur und seiner Familie. Quitten, diese gelben, pelzigen, aromatischen Früchte, sind seine Leidenschaft. Und zu seinem Glück auch die seiner Frau Leonie Wright.
Zu Beginn haben wir uns jedes Wochenende auf die Suche nach alten Bäumen gemacht, dann kamen die Feierabende dazu, und seit 2005 arbeiten wir sozusagen rund um die Uhr mit Quitten«, erinnert sich Marius Wittur. MUSTEA heißt sein landwirtschaftlicher Bio-Betrieb, benannt nach einer römischen Mostquitte. Hier verarbeitet er nicht nur reife Früchte zu Saft, Secco, Wein oder Gelee, sondern sucht, forscht und erhält alte Quittenbäume in der Region. In seiner eigenen Baumschule vermehrt er mittlerweile 52 Quittensorten (normale Baumschulen bieten maximal drei bis vier). Zusätzlich hat er 2011 eine Quittenkooperative gegründet, über die er angelieferte Früchte zur Weiterverarbeitung ankauft. Aus purer Leidenschaft zur Quitte baute er darüber hinaus einen rund vier Kilometer langen Quitten Lehrpfad an der Mainschlaufe auf.
Der Pfad führt durch sogenannte Rangenteile. Dies sind gerade mal viereinhalb Meter breite Grundstücksstreifen, die wie kleine Stoffbahnen entlang des Hangs zum Main nebeneinanderliegen. Diese ungewöhnliche, historische Fluraufteilung geht auf das Lehen des Astheimer Klosters aus dem 15. Jahrhundert zurück. 66 Familien des damals noch »Ostheim« genannten Ortes erhielten diese kleinen Grundstücksstreifen und pflanzten Äpfel, Zwetschgen, Kirschen, Walnüsse und vor allem immer wieder Quitten an. Quitten waren vor 100 Jahren in Thüringen, aber auch in München begehrt und daher lohnende Obstbäume. Doch als die Nachfrage nach Quitten in den 1950er-Jahren ausblieb, überließen viele Grundstücksbesitzer das fruchtbare Land mit seinen Bäumen sich selbst und die Rangenteile verwilderten.
Quittenholz ist ungemein stabil. Die dünnen Stämme halten enormen Belastungen stand. Sie biegen sich zwar, brechen aber nicht. Es sieht waghalsig aus, wenn sich ein erwachsener Mann wie Marius Wittur auf so dünnen Holzstangen hocharbeitet. Ganz oben hängt das Objekt seiner Begierde – drei kleine Quitten, die zu Hause genauer untersucht werden. Danach entscheidet er, ob es sich lohnt, auch dieses Rangenteil mühevoll vom Wildwuchs zu befreien.
»Viele Menschen glauben, dass die Wildnis besonders artenreich ist. Ist sie aber gar nicht. Erst dort, wo der Mensch die Vielfalt kultiviert, kann diese auch gedeihen«, erläutert Marius Wittur. Für diejenigen, die den Pfad allein erkunden, weisen zwölf Tafeln auf solche Zusammenhänge und Hintergründe hin. Neben manch hundertjährigem Quittenbaum und alten Raritäten, die teilweise ausschließlich hier wachsen, sind auch 70 Wildpflanzen und 55 Vogelarten vor Ort zu finden.
Der Quittenlehrpfad ist in diesem Jahr Anfang Oktober bereits leer. Ohne Ernteeinsatz. »Die Menschen machen sich leider keine Gedanken, wenn sie sich ihre Tasche füllen. Sind ja schließlich nur ein paar Quitten. Aber wenn man sieht, wie viele Menschen hier täglich und gerade auch am Wochenende durchkommen, wundert es nicht, dass alle Früchte weg sind.« 2013 will Wittur seine Grundstücke deutlicher markieren und noch mal ganz gezielt darauf verweisen, dass die Früchte nicht mitgenommen werden dürfen. Denn sein »fränkisches Rekultivierungsprojekt für alte Quittensorten« muss schließlich auch finanziert werden. So romantisch es manchem anmutet, hier zwischen Quitten zu wandeln, dahinter steckt harte Arbeit. Von der sich Wittur nicht abschrecken lässt, denn er findet immer wieder neue Kostbarkeiten.
»Das könnte eine neue Lieblingssorte werden«, verrät Marius Wittur mit einem Blick auf einige Quitten in einer Kiste und erzählt, wie ein älteres Paar die Früchte ihres Baumes bei ihm vorbeibrachte. Die Quitten sind groß, sehr ebenmäßig und so weichfleischig, dass man sie roh essen kann. Außerdem bilden sie geschmacksveredelnde Zuckerablagerungen. Diese sehen aus wie ein fester, etwas glasiger Strich im sonst hellen und weichen Fruchtfleisch. »Das sind gute Voraussetzungen, und wir werden mit dieser Quitte weiterarbeiten«, erklärt Wittur. »Doch wie schnell ist so ein Baum weg. Die Besitzer werden zu alt, es kommen neue und die wollen lieber einen Rasen für die Kinder oder einen Apfelbaum. Und schon ist alles zu spät.«
Mehr über Marius Wittur und seinen Quittenlehrpfad finden Sie hier: https://haus-der-quitte.de/UEber-uns/
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Der Texte in diesem Artikel ist aus dem Buch:
Anne Webert
Tiere und Nutzpflanzen aus alter Zeit
(blv), 2013, Hardcover
ISBN: 978-3-8354-1130-2
19,99 € (D) / 20,60 € (A) / 28,50 sFr
Argentinisches Rind und tropische Banane treten an gegen das Angler Rind und Baumwollquitte. Der Unterschied: Erstere werden kilometerweit per Schiff oder Flugzeug nach Deutschland transportiert, während die anderen beiden direkt vor unserer Haustür zu finden sind. Anne Webert zeigt in ihrem neuen Buch Tiere und Nutzpflanzen aus alter Zeit, dass das Gute oft ganz nah ist.
Nach der Beschreibung der Umweltbegebenheiten in den entsprechenden Bereichen, wird jedem Tier beziehungsweise jeder Pflanze ein Porträt über Herkunft, Geschichte und Anbau oder Aufzucht gewidmet.