Viel Lust aufs Landleben, viel Lust aufs Selbermachen, viel Energie: Das waren wohl etwa die Ausgangsbedingungen, als Nicole Nikolaus und Hartmut Herrmann zusammen mit dem kleinen Jakob 1995 auf den Hollerbuschhof zogen. Ein alter Vierseitenhof, schon einige Jahre leer, Garten und Grund sich selbst überlassen. Durchaus kuschelig, weil die Gebäude schützend den Hofplatz umschließen, aber eben auch wild und zum Teil wie unberührt. Hier konnte man viel tun, Leben hineinbringen und mit einer Menge Tatendurst einfach mal etwas Neues anfangen. Einen Biohof zum Beispiel, auch wenn die Nachbarn etwas komisch guckten, dass da nun auf einmal so eine bunte junge Truppe das ruhige Landleben aufmischte.
Neu im Dorf
Auffallend sind die vielen Geräte, die hier auf dem Hof stehen. Sie sind meist nicht für den Trecker, sondern fürs Pferd. „Als wir erstmals mit Pferd und Wagen Heu machten, war das der Knaller im Dorf. Wie früher. Ein alter Herr ist vor Begeisterung aufgesprungen: ‘Dass die doofen Ökos das können!’“
Heute leben Nicole Nikolaus, Hartmut Herrmann und ihr zweiter Sohn Hans auf dem Hof – der kleine Jakob ist mittlerweile ein großer und macht auswärts eine Ausbildung. Im Dorf hat man die jetzt nicht mehr so neuen Mit- bewohner inzwischen akzeptiert. Anders sind sie aber immer noch. Hartmut Herrmann lacht: „Wir sind sehr konservativ geworden. Mit den Jahren siegte die Einsicht. Am Anfang gab es ein Kompostklo und eine Pflanzenkläranlage; wir hatten kein Auto, aber haben viele Sachen nicht bewältigt.“ Über jede Neuerung wurde heiß diskutiert und gestritten. Nicole Nikolaus wollte lange weder Trecker oder Auto noch Computer: „Ich habe mich mit Händen und Fü.en gewehrt. Nur das Faxgerät mit Anrufbeantworter wollte ich unbedingt haben, weil wir so schlecht zu erreichen waren.“ Aber auch sie hat inzwischen eingelenkt und genießt es, wenn sich nicht mehr alles selbst machen muss. Anfänglich planten sie sogar, ihre Kleidung allein herzustellen. „Ich filze und spinne zwar noch, aber ich färbe nicht mehr. Das ist viel Arbeit. Inzwischen lese ich auch gern mal ein Buch. Ich arbeite ja schon viel, zwölf Stunden am Tag. Nach 15 Jahren bist du nicht mehr andauernd kreativ. Aber immer mal wieder …“
Kreative Selbstversorgung
Einfach war es sicher nicht mit dem einen Morgen Land, den sie anfangs urbar machen mussten, „mit dem Kind auf dem Buckel“, wie Nicole sagt. Aber sie haben es geschafft. Nicht ganz mit der Selbstversorgung, aber es reicht zum Leben. Sie haben Hühner für die Eier, die Ziegen für Milch und Käse. Die Pferde helfen bei der Arbeit, der Garten bringt genug Gemüse fürs ganze Jahr. Nur im späten Frühjahr müssen sie ein bisschen dazukaufen. Es war ein Lernprozess, was sie selbst können und auch wollen und was nicht: „Mehl selbst mahlen geht zum Beispiel nicht. Wir schlachten auch nicht, außer die Hähne. Wir sind ja auch nur eineinhalb Leute, denn mein Mann arbeitet 40 Stunden in der Woche als Konstrukteur. Du kannst nicht überall sein, du verzettelst dich.“
Neben dem Versorgen der Tieren stehen noch andere Dinge auf dem Hof an: Marmelade kochen, Käse herstellen, Gemüse einmachen und Nützliches und Schönes für den Hof schaffen: Was auf dem Hollerbuschhof im laufenden Betrieb entsteht, gleicht manche Bastelstunde im Leben anderer Leute aus. „Wer von seinem Land leben will, muss mit dem arbeiten, was er erwirtschaftet. Da kommt die Schaffenskraft von ganz allein“, sagt Nicole Nikolaus.
Tee in Bioqualität
Schon als Kind hatte Nicole ein Kräuterbeet. „Zu DDR-Zeiten gab es nicht so viele Kräuterbücher, aber meine Eltern hatten eins. Nach der Wende habe ich Biologie studiert. Später habe ich einen Einführungskurs für Kräuteranbau besucht. Ich war begeistert. Mein Mann und ich dachten, Kräuteranbau, das hört sich schwierig an – dann machen wir es erst recht. Einfach rein ins kalte Wasser!“ 1998 legten sie dann los. Zu den ersten Kulturen gehörten Drachenkopf, Malve – und ja, genau Brennnessel! „Die habe ich ausgestochen und dann mit dem Pferdewagen aufs Feld gebracht. Ich habe einen Lachanfall gekriegt, weil ich mir vorgestellt habe, was die Bauern sagen, wenn wir Brennnesseln in Reih und Glied pflanzen.“ Aber dieses von vielen geschmähte „Unkraut“ ist eine alte Nutzpflanze und wird unter anderem für Tees verwendet. Der Hauptwirtschaftszweig des Hofs ist der Anbau und Verkauf von Blüten- und Blattdrogen. Was fast gefährlich klingt, heißt auf behördenfreiem Deutsch einfach: Auf dem Hollerbuschhof wachsen die Pflanzen für Kräutermischungen und -tees. Fenchel, Koriander, Zitronenmelisse, Gallica-Rosen, Ringelblumen, Drachenkopf, Ysop, Basilikum, Majoran, diverse Minzen und so weiter und so fort. Und zwar nicht auf einem kleinen Kräuterbeet, wie andere es in ihrem Hausgärtchen haben, sondern in langen Reihen auf dem Feld. Die Kräuter werden mit der Sichel geschnitten, die Blüten von Hand gepflückt. Nur die Körner drogen, also Fenchel und Koriander, werden mit dem Mähdrescher geerntet. Alles zusammen gibt bis zu 400 kg getrocknete Ware im Jahr. Davor steht das Vorziehen der kleinen Pflanzen, das Unkrautjäten, das Absammeln von Schädlingen, das Hoffen auf gutes Wetter. Und immer wieder ernten, trocknen, lagern.
Ab Ende August findet man Nicole Nikolaus am ehesten im fensterlosen Lagerraum. Vor ihr auf dem Tisch mit der Waage duftende Rosenblätter, Lavendelblüten, zitronigaromatischer Drachenkopf. Eine Luft schöner als jedes Parfüm – aber die Teemischerin nimmt ihn nicht mehr wahr: „Ich warte immer, dass Leute hier rein kommen und sagen: Ach, riecht das gut! Ich bin zwar nicht geruchstaub, aber es muss für mich schon ein sehr starkes Aroma sein.“ In den Garten kommt sie zu dieser Zeit kaum, stattdessen packt sie ihn in Tüten. 46 verschiedene Produkte sind es: Tees und Gewürze solo oder Mischungen. „Von den gängigen Sorten bereite ich immer so 50 Mischungen auf Vorrat zu.“
Der beste Duft wächst auf dem Feld
Kräuter müssen mager stehen, so heißt es oft. Und wenn man auf einer Bergwanderung einen einsamen Thymian pflückt, hat der bestimmt ein ganz besonderes Aroma. Richtig ist auch, dass Kräuter keinen nassen und schweren Boden mögen. Wenn man sie allerdings regelmäßig ernten will, soll man den besten Boden seines Landes nehmen. Das hat Nicole Nikolaus so gelernt. „Wenn du Kräuter erntest, schneidest du ihnen ja ständig den Kopf ab. Da brauchen sie schon mehr Energie. Vor allen Dingen natürlich Sonne. In unseren Boden kommt auch regelmäßig Mist. Bei zwei bis drei Schnitten im Jahr muss man düngen.“ Auch unter den Kräutern gibt es übrigens Starkzehrer: Dazu gehören Minzen und Melissen.
Trotzdem braucht sie auf ihrem Kräuteracker keine Anbaufolge einzuhalten. Stattdessen achtet die Kräuterbäuerin darauf, dass es für sie vom Ablauf her praktisch ist. „Ich pflanze möglichst alle Einjährigen zusammen, am allerliebsten mit den Kartoffeln und Rüben in eine Ecke. Im Herbst gebe ich noch einmal Mist daran, wenn ich weiß, dass die Stauden da im kommenden Jahr hinkommen. Wenn ich merke, dass Mangel ist, gibt es auch Hammel- pellets. Die Jungpflanzen bekommen etwas Melasse und meine gute Anzuchterde.“ Die mehrjährigen, selbst gezogenen Pflanzen bleiben drei Jahre an einem Ort und liefern Material für die Tees. Werden sie im dritten Jahr im Herbst umgebrochen, zieht Nicole Nikolaus diese Sorten neu. Da sie nie alle Kräuter gleichzeitig ersetzt, gibt es immer junge Pflanzen und alte, die gut tragen.
Bin im Garten
Neben der Arbeit auf dem Feld mit den Teekräutern versorgt Nicole Nikolaus noch ihren Gemüsegarten. Obwohl sie hier mit Schnecken zu kämpfen hat, wächst immer noch genug für die dreiköpfige Familie. Neuerdings sogar grüner Spargel, auf dessen erste Ernte sie sehnlichst warten. Daneben wird der Braunkohl groß, eine Spezialität der Altmark. Anders als der kleinere Grünkohl färbt er sich leicht lila und wird bis zu zwei Meter hoch. Ansonsten gibt es eine durchwachsene Mischung guter alter Gartenpflanzen: Mangold, Lauchzwiebeln, Kohlrabi, Erbsen, Puffbohnen und grüne Bohnen, Rote Bete und verschiedene Kohlsorten. „In den ersten Jahren haben wir von manchen Sachen so viel angebaut, dass wir gar nicht alles verkaufen oder verwerten konnten. Die richtigen Mengenverhältnisse mussten wir erst lernen.“ Um den Garten herum steht viel Obst: Süßkirschbäume und Johannisbeeren, die heutzutage auch mal Freunde abernten, weil es einfach viel zu viel ist.
Miete statt Keller:
Lagern auf die alte Art Wenn das Gemüse das ganze Jahr über reichen soll, muss man sich spätestens im Herbst Gedanken darüber machen, wie man für den Winter vorsorgt. Kartoffeln, Wurzelgemüse und Kohl sollen etwas länger halten. Das war anfangs schwierig für die Familie auf dem Hollerbuschhof, denn sie besitzt keinen kühlen, dunklen und gleichzeitig luftigen Keller, wie er für die Einlagerung optimal wäre. Für größere Mengen bräuchte sie noch dazu eine gehörige Portion Platz. Einmachen und Einfrieren lösten einen kleinen Teil der Konservierungsprobleme, aber bei Kartoffeln und Möhren zum Beispiel stieß die Hausherrin an ihre Grenzen. Sie wusste sich jedoch zu helfen und baute das Lager oberirdisch und trotzdem gut geschützt: Erdmieten waren die Lösung. „Hier kommt alles rein, was den Winter über halten soll. Ja, das ist ein bisschen aufwendig und verlangt etwas Planung, aber es funktioniert.“ In die Mieten kommen Futterrüben für die Pferde und Ziegen; Kartoffeln, Möhren, Pastinaken und andere Wurzelgemüse für die Menschen. Enges Schichten ist wichtig, nicht nur zum Platzsparen, sondern auch dass keine Kältebrücken oder Höhlen für Schädlinge entstehen. Kompliziert wird es, wenn man Kohl in Mieten packen will: „Da muss man zum Belüften Röhren reinlegen, damit der Kohl nicht zu warm wird und zu gären beginnt. Das ist dann wirklich zum Weglaufen eklig.“ Beim Schichten denkt Nicole Nikolaus praktisch: Wenn sie im Winter ein Loch in die Miete gräbt, möchte sie gleichzeitig an alles herankommen, also muss sie gleichmäßig schichten. „Die Öffnung mache ich vorsichtig an der Nichtwetterseite, also nach Süden. Ich musste bei Frost auch schon ein Loch hineinhacken.“ Mit den Kartoffeln kommt die Familie über den Winter, die Futterrüben lagern bis zum März. Die allerletzten Kartoffeln dienen dann als Startknollen für die neue Kultur. Das klappt so bis zu vier Jahre in Folge, dann gibt es frische.
Und manchmal kann man Erde ernten
Wer viele Kräuter selbst zieht, braucht viel Erde. Schwierig wird es, wenn man ungern torfhaltige Erde verwendet. Umweltschutz und Pflanzenzucht auf diese Weise schließen
sich leider aus, denn ein Großteil der Blumenerden in Gartenmärkten wird auch heute immer noch auf Torfbasis hergestellt. Torffreie Bio-Erde gibt es zwar zu kaufen,
doch sie ist teuer. Viel günstiger ist es, die Erde selbst zu machen, so wie Nicole Nikolaus: Sie nimmt als Grundlage den Kompost, der in einem gut bewirtschafteten Garten fast nebenbei entsteht. Auf ihren Komposthaufen gibt sie alles möglichst gut gemischt, damit er richtig reichhaltig wird: Sand, Holzhäcksel aus frischem Holz, auch immer wieder Pferdemist, mal etwas Erde vom Acker und natürlich Pflanzenreste. Wenn der Kompost gut zersetzt ist, siebt sie ihn. Aber damit ist noch nicht Schluss. Bevor sie ihre eigene Erde verwenden kann, schaltet sie noch einige Schritte dazwischen. Zuerst einmal kocht sie den Boden: Den durchgesiebten Kompost gibt sie dazu in einen alten Waschkessel, wie er vor der Zeit der Waschmaschinen benutzt wurde. Darunter zündet sie ein Holzfeuer an und erhitzt die Erde, bis sie sich auch auf der Oberfläche ganz heiß anfühlt. Hin und wieder rührt sie um. „Ich habe es in den ersten Jahren nicht gemacht, das Unkraut wuchs und wuchs. Heute mache ich die Erde mit dieser Prozedur natürlich tot. Ich könnte jetzt noch Brennnesseljauche zum Wiederbeleben darüberkippen, aber das schaffe ich nicht.“
Zum Glück passiert das auf dem Acker später auch von allein.
Alle Texte und Fotos in diesem Artikel sind aus dem Buch:
Britta Freith:
Hinterm Stall die Blumen – Landfrauen und ihre Gärten
Mit Fotografien von Bigi Möhrle
EUR ca. [D] 29,90 / [A] 30,80 / [CH] 40,-
Stuttgart: Verlag Eugen Ulmer, 2013
ISBN 978-3-8001-7894-0
Gartenglück auf dem Land
Ob verspielt oder aufgeräumt, Ton in Ton oder bunt gemischt: Jeder Garten ist ein persönlicher Rückzugsort und offenbart etwas über den Charakter und die Träume seines Besitzers. In „Hinterm Stall die Blumen“ gewähren 13 Landfrauen von Flensburg bis Kärnten Einblick in ihre Gärten, in ihre Persönlichkeit und ihr Leben auf dem Land.