Stadtgärtner kann man nicht nur alleine auf dem heimischen Balkon sein. Wem die Motivation fehlt, sich selber alle Tricks und Kniffe beizubringen oder wer im Bekanntenkreis keine Unterstützer findet, für den ist der Weg in eine Gruppe vielleicht das Richtige. Viele Organisationen haben sich mittlerweile in ganz Deutschland etabliert und bieten neben der Teilnahme an Gartenprojekten auch Informationsveranstaltungen zu verschiedensten Themen an. Um einen kleinen Anreiz zu geben sind im Folgenden die größten und prägnantesten Gruppen beschrieben. Außerdem sind Websites von Organisationen aufgelistet, die mit interessanten Konzepten in anderen Ländern sehr erfolgreich agieren.

Transition Town – Städte im Wandel
Die Transition-Town-Initiative vereint Menschen mit einer bestimmten politischen Haltung und Motivation. Sie sieht eine Zukunft voraus, in der unsere Industriegesellschaft mit weniger Energie auskommen muss. Ihr Ziel ist, dem Ressourcenverbrauch auf lokaler Ebene entgegenzuwirken und ein Bewusstsein für die dramatische Entwicklung und problematische Zukunft einer auf Öl angewiesenen Gesellschaft zu schaffen. Dazu wollen sie die lokale
Autonomie und Widerstandsfähigkeit von Gemeinden gegenüber Störungen durch den Markt stärken und gleichzeitig ihren CO2 -Ausstoß verringern.
Ihr Konzept umfasst die Entwicklung durch Praxis, also durch das Experiment. Dabei setzen sie auf die Kreativität der Menschen, mit den ihnen gegebenen Mitteln Lösungen zu finden. Kommunen und Gemeinden üben sich zusammen mit Transition Town darin, durch gemeinschaftliche Projekte Alternativen zum exzessiven Verbrauch nicht-erneuerbarer Ressourcen zu erproben. Diese wollen sie attraktiv für die Bevölkerung machen. Neben gemeinschaftlichen Gartenprojekten setzen sie sich für die Bildung zu den Themen Klimawandel, Nachhaltigkeit und Ölproduktion ein. Die Initiativen veranstalten Themenabende und Kurse z.B. über solidarische Landwirtschaft und Nachhaltigkeit. Offizielle Transition-Town-Mitarbeiter schulen kleinere Initiativen in Aspekten der Organisation und des gemeinschaftlichen Handelns. Sie wollen sie darin ausbilden, gut gemeinschaftlich zusammenzuarbeiten und zeigen Strategien auf, die Menschen zu erreichen und einzubinden. Dem inneren Wandel des Menschen soll ein äußerer Wandel der Umstände folgen.
Urban Gardening
Urban Gardening, das Gärtnern in der Stadt, ist die berühmteste der heutigen Gartenbewegungen. Ihre Projekte zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich an der Gemeinschaft als Produzenten orientieren. Jeder kann mitmachen und alle helfen sich gegenseitig. Dabei haben sie die unterschiedlichsten Trägerschaften. Teils werden sie
durch Städte oder Stiftungen finanziell gefördert oder sind nebenbei eigenständig wirtschaftlich tätig. So gründeten die beiden Erschaffer des Prinzesinnengartens in Berlin eine GmbH um das Projekt mit weiterem Leben füllen zu können. Neben der gärtnerischen Tätigkeit finden hier Vorlesungen, Workshops, Flohmärkte und die Bewirtung mit Speisen und Getränken statt. Mittlerweile finden sich in fast jeder deutschen Klein- und Großstadt Urban-Gardening-Projekte – viele davon befinden sich allerdings noch in den Kinderschuhen.
Beim Urban Gardening geht es hauptsächlich um die persönliche Erfahrung des Anbaus. Zu sehen und verstehen zu lernen, wie unsere Nahrung wächst und welche Faktoren
dabei eine Rolle spielen, steht im Vordergrund. Dabei achten die Gärtner auf eine nachhaltige Bewirtschaftung der gärtnerischen Kulturen sowie ihre umweltschonende
Produktion. Außerdem gehört der bewusste Konsum der geernteten Erzeugnisse dazu.
Auch die Wiederverwertung von Abfallmaterialien ist Teil des urbanen Gärtnerns. Sie ermöglicht das Stadtgärtnern auch für Menschen, die über wenig Geld verfügen. Viele
Gärten sind mobil gebaut, sodass sie Besitzansprüchen am Stadtland schnell Platz machen können: diese Mobilität macht sie attraktiv für städtische Beamte. Sie müssen den Gärten somit keine längerfristigen Zugeständnisse machen. Dabei laufen Urban-Gardening-Projekte allerdings Gefahr, von einem Ort zum anderen geschickt zu werden. Den politischen Boden für eine stärker abgesicherte Zukunft der Gärten in der Stadt zu schaffen, ist deshalb auch
ein Ziel der Organisationen.
Urban Gardening hat viele Formen hervorgebracht. Manche Gärten haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Gemeinschaft von Menschen unterschiedlicher Herkunft zu fördern: Sie nennen sich interkulturelle Gärten.
Mit den Selbsterntegärten haben Landwirte und Geschäftsleute die Möglichkeit geschaffen, durch den Trend Geld zu verdienen, indem sie vorbestellte Flächen an Interessenten ver- pachten oder diese Verpachtung vermitteln. Dieses System ist vor allem für Vielbeschäftigte geeignet, da der Bauer oder Veranstalter sowohl die Aussaat übernimmt als auch mit Rat und Tat zur Seite steht.
Incredible Edible – die essbaren Städte
Diese Organisation hat sich in der ehemaligen Industriestadt Todmorden in South Wales, England formiert. Die Organisation will die Menschen zu einem verantwortungsvollen
Umgang mit der Welt und zur gemeinschaftlichen Sicherung einer guten Existenzgrundlage führen. Ebenfalls ist es ihr Ziel, Menschen mit ihren lokalen Produzenten zu vereinen und so die lokale Wirtschaft zu stärken. Ihr Weg ist die Gemeinschaft und das Learning by Doing, vom Feld in den Klassenraum in die Küche.
Die Idee der Gründer um Pam Warhurst und Mary Clear war es, die ungenutzten oder schlicht begrünten Flächen in der Stadt zum Anbau von Nutzpflanzen umzugestalten und die Ernte jedem Bewohner, jedem Passanten oder Touristen zur Verfügung zu stellen. Sie gärtnern hauptsächlich in Hochbeeten, um Verschmutzungen des Gemüses und der Hochbeet-Umgebung zu vermeiden. Das Gärtnern und die Pflege übernehmen dabei viele Freiwillige, die auch von der Ernte profitieren. Örtliche Grundbesitzer wie z.B. Immobilien- gesellschaften haben sich ihnen angeschlossen und bieten ihren Mietern kostenlose Samenpakete und Hilfe zur Beteiligung. Auch die Bahnbetreiber erlauben das Pflanzen von Kräutern auf ihrem Gelände. Ein Altenheim verfügt nun über Hochbeete, vor einem Ärztehaus wurden die Koniferen durch Gemüse ersetzt und auf dem Gelände der Feuerwehr- und Polizeistation wurden Obstbäume gepflanzt. Ein anderer Arbeitsbereich der
Organisation ist die Zusammenarbeit mit lokalen Produzenten, wie den Hühnerfarmen der näheren Umgebung. Eine Kampagne mit Spielen und Informationen sowie die Erstellung einer Todmorden Egg-Map haben 2009 viel Aufmerksamkeit erregt. Desweiteren statteten sie die Todmorden Highschool mit einer aquaponischen Anlage aus, in der die Schüler lernen Salat und Fisch anzubauen.
In Deutschland hat das Konzept Nachahmung in der Essbaren Stadt Kassel und der Essbaren Stadt Andernach gefunden. Hier heißt es „Pflücken erlaubt“ statt „Betreten verboten“ (Stadtverwaltung Andernach, Stand 2015).
Urban Farming
Beim Urban Farming zieht die richtige Landwirtschaft in die Städte. Im Gegensatz zum Urban Gardening wird Urban Farming auf kommerzielle Weise genutzt, um Produkte für den Verkauf und Arbeitsplätze zu schaffen. Dazu werden auf Dächern von Gebäuden und Parkhäusern, auf Brach- und Freiflächen Stadtfarmen angelegt, die auf die längerfristige Produktion im kleinen Betrieb setzen. Biologisch, nachhaltig und nah am Konsumenten Dabei werden viele Arten des Anbaus angewendet. Hydroponische und aquaponische Farmen setzen auf mit Nährstoffen angereichertes Wasser oder Fische für die Nährstoff- zufuhr. Die Kombination von Fisch- und Gemüseproduktion bildet hier einen Kreislauf, welcher der Natur nachempfunden ist.
Das Paradebeispiel für innerstädtische Farmen bietet die Stadt Detroit, deren Einwohnerzahl nach dem Wegbrechen der Industrie um 55% auf knapp 900 000 Einwohner geschrumpft ist. Unendliche Brachflächen und leerstehende Gebäude prägen das Stadtbild. Über 30% der Bewohner sind arbeitslos. Vor einigen Jahren haben sich Organisationen gegründet, welche die Zukunft Detroits in urbanen Farmen sehen. Sie bringen den Menschen bei, Lebensmittel in ihren Hinterhöfen oder auf Brachflächen nachhaltig und ökologisch anzubauen. Fast tausend dieser kleinen Farmen gibt es bereits. Sie sind die einzigen, die die Bevölkerung noch mit frischen Lebensmitteln versorgen. Für viele ist die Investition in urbane Farmen eine Zukunftsperspektive. Auch Großinvestoren haben Detroit bereits ins Auge gefasst. Die Firma Hantz Farms erwarb 56 Hektar Stadtland, um eine riesige Obstplantage anzulegen.
Hantz Farms selbst bezeichnet sich als größtes Urban Farming der Welt. Im Gegensatz zu den Kleinbauern will sie allerdings nicht auf den Einsatz von Pestiziden verzichten. So wird Detroit nun zum Beispiel für andere schrumpfende Städte, wie landwirtschaftlicher Anbau in
der Stadt funktionieren kann und wie man aufgebrochene Stadtstrukturen wieder zusammenfügt.
Guerilla Gardening
Beim Guerilla Gardening geht es darum, die vernachlässigten Stellen im Stadtraum für sich einzunehmen, Blumen zu pflanzen und kahle Stellen im Stadtraum neu zu gestalten. Dabei steht nicht der Anbau von Nutzpflanzen, sondern einfach die Verschönerung durch Blüten- pflanzen im Vordergrund. Guerilla Gardening wird hauptsächlich von kleineren Gruppen oder Einzelpersonen betrieben und benötigt im Gegensatz zu anderen Stadtgärtnerformen
keine langwierige Organisation.
Bekannt geworden ist Guerilla Gardening durch den Engländer Richard Reynolds, der seit über 10 Jahren in Londons Stadtteil Elephant and Castle agiert. Zusammen mit anderen Guerilla Gärtnern säubert und bepflanzt er in nächtlichen Aktionen das Stadtgebiet rund um seinen Wohnort. Teilweise tarnen sie sich dabei als Straßenarbeiter, um ungestört agieren zu können, denn was sie machen wird in Großbritannien als Vandalismus angesehen. So wurde für Reynolds die Leidenschaft zum Gärtnern mit der Zeit auch zum politischen Diskussions- thema: Er musste sich gegen das Desinteresse von Verantwortlichen aus dem Gemeinderat der Stadt durchsetzen, die nicht nur uninteressiert an der Instandhaltung der vorhandenen
Flächen waren, sondern Reynolds neu bepflanzte Flächen zum Teil auch wieder zerstörten. Mittlerweile hat Reynolds mehrere Bücher veröffentlicht und hält weltweit Vorträge. Guerilla Gardening hat sich indes zu einem weltweiten Phänomen entwickelt.
Garteninitiativen in Deutschland
transition-initiativen.de
urbane-gaerten-muenchen.de
urbaneoasen.de
urban-gardening.berlin
prinzessinnengarten.net
neuland-koeln.de
gartendeck.de
urbanstuttgarten.de
gemeinschaftsgartenessen.wordpress.com
gemeinschaftsdachgaerten.de
gartenpiraten.net
essbare-stadt.de
Alle Texte und Fotos in diesem Artikel sind aus dem Buch:
Wiebke Jünger
Stadtgrün statt grau – 61 DIY Projekte fürs Urban Gardening
Preis: 24,90 € (D)
ISBN: 978-3-8001-3384-0
Ulmer
Urban Gardening, Rooftop Gardening, oder Vertical Gardening – Stadtgärtner finden jeden Winkel in der City, auf dem Gemüse gepflanzt und Blumen gesät werden können. Auf dem kleinsten Balkon, auf dem Dach, sogar an grauen Betonwänden grünt es. Mit dem richtigen Know-How sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. In diesem Handbuch finden City-Gärtner 61 Bauanleitungen zu allem, was sie brauchen: zu Balkonkasten-Bewässerung, Samenbomben, Bäckerkisten-Hochbeet, Pflanzsäcken, Frühbeet, Wurmkomposter, Grauwasserturm, Aquaponik uvm.