Sie sind die einsamen Helden des Ackers. Mit ihren Lumpen, den zerzausten strohigen Haaren und einem großen, dunklen Hut stehen sie tagein, tagaus bei Wind und Wetter mitten im Feld. Beim Outfit der fabelhaften Feld-Gestalten sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt- je bunter und schriller desto besser. Schließlich lautet ihre Mission: diebische Krähen und Stare vom Saat- oder Ernteklau abzuhalten.
Auf hohen Stöcken und in second-hand Klamotten
Mit zwei simplen Stäben oder Holzstangen, Stroh, alter Kleidung sowie einem Hut und ausgelatschten Gummistiefeln wird den Vögeln vorgegaukelt, dass sie nicht unbeobachtet sind. Die klassische Vogelscheuche ist eine Figur in Menschengestalt. Deren Silhouette ersetzt den Bauern, der mit wedelnden Armen lästige Saat- und Fruchtdiebe wie Stare und Krähen von Feldern und aus den Gärten vertreibt. Im Idealfall ist die Vogelscheuche also neben ihrer abschreckenden Erscheinung auch mit Spezialeffekten wie Bewegungs-, Licht- und Knallelementen ausgestattet. Glitzernde und reflektierende Flatterbänder etwa, bewegliche Ärmel oder scheppernde Ketten aus Blechdosen erweisen sich als hilfreiche Accessoires. In der Steiermark heißt die Variante einer Vogelscheuche, die Vögel durch ihr Klappern aus den Weingärten vertreibt, „Klapotetz“; ähnelt allerdings eher einem Windrad. Da sich Vögel mit der Zeit aber an die Anwesenheit der merkwürdigen Gestalten gewöhnen, wird empfohlen, öfter den Standort der Vogelscheuchen zu wechseln oder hin und wieder mal deren Outfit zu wechseln.
Gehilfen vom Lande als Romanvorlage
Vogelscheuchen sind schon bald nach der Einführung des Garten- und Ackerbaus entstanden. Bis heute werden sie auch in asiatischen Reisfeldern oder in den USA eingesetzt, wo sie „scarecrows“ heißen. Weltweit knüpfen sich volkstümliche Bräuche an sie. Auch literarisch sind sie erfolgreich vertreten. Shakespeare baute die Vogelscheuche in sein Stück Heinrich VI. ein, der Dichter Heinrich Heine versicherte: „Doch lockt die Kirsche noch so sehr, die Vogelscheuche schreckt noch mehr“ und Ludwig Tieck schrieb 1854 einen ganzen Roman mit dem Titel „Vogelscheuche“. Und in der „Legende von der Vogelscheuche“ hat sie sogar eine Hauptrolle bekommen. Es ist die rührend-traurige Kindergeschichte über eine einsame Vogelscheuche, die sich nach der Freundschaft mit den Vögeln sehnt, einer blinden Krähe das Leben rettet und schließlich dafür bestraft wird.
Neue Scheuchen braucht das Land
Auch wenn ihr Job nicht immer so erfolgversprechend ist, die Freude über ihren listigen, lustigen bis grimmigen Anblick ist ihnen garantiert. Inzwischen hat sich die Vogelscheuche eher zum Dekorationsobjekt gemausert. Manche Gartenbesitzer leben sogar offen ihre künstlerischen Talente an den Vogelscheuchen aus. So entstehen individuelle Geschöpfe, an deren Gestaltung übrigens auch Kinder großen Spaß haben. Dank ihrer Kreativität entstehen Unikate wie Hexe Zappelzahn, Hans im Glück, Fred Fürchtenicht oder Valentin der Krähenschreck.
Echte Sympathieträger Marke Eigenbau
Alles, was man braucht, sind ein paar alte Bohnenstangen oder Holzlatten, Nägel, einen Hammer, Bindfaden, eine Schere, Sackleinen, alte Kleidung sowie Stroh. Eine lange und eine kürzere Holzlatte über Kreuz nageln und am langen Ende etwas anspitzen, damit sich das Vogelscheuchen-Grundgerüst besser in den Boden treiben lässt. Mit Stroh werden nun Kopf und Hände geformt, diese jeweils mit Sackleinen „verpackt“ und mit Bindfaden verschnürt. Jetzt muss die Puppe noch angekleidet werden. Abgelegte Hosen, Hemden, Kleider – alles ist erlaubt. Gerne mit Knöpfen, das lässt sich besser anziehen. Halstuch, Hut und Handtasche nicht vergessen. Lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf! Bei so viel individuellem Charme könnte man das umgangssprachliche „du siehst aus wie eine Vogelscheuche“ schon fast als Kompliment auffassen…
TEXT: Martina Raabe
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