Nicht ist britischer als die berühmte englische Tea Time! Mitte des 17. Jahrhunderts gelangte der erste Tee als exotische Importware nach England und wurde schnell zum Nationalgetränk der Briten. Bis heute ist vielen ihr 17-Uhr-Tee heilig.
Wie sich die Briten in den Tee verliebten
Von Hattie Ellis
Tee ist für uns Briten nicht nur ein Getränk. Er ist Teil unseres Nationalcharakters. In England hat sich ein regelrechter Teekult mit speziellen Essenszeiten, Speisen und Etikette entwickelt. Doch wie konnte ein Getränk, das ursprünglich aus China stammt und aus den Blättern der exotischen Pflanze Camellia sinensis hergestellt wird, solchen Einfluss auf das Gefühlsleben eines ganzen Landes gewinnen? Bei seiner Ankunft in England Mitte des 17. Jahrhunderts war Tee eine exotische Importware, galt ebenso als Medizin wie als anregendes Getränk und wurde sowohl in Apotheken als auch in den neu aufkommenden »Coffee Houses« verkauft. Katherina von Braganza machte den Tee in England populär, als sie 1662 König Charles II. heiratete. Eine Kiste Tee war Teil ihrer Mitgift, und ihr tägliches Getränk wurde schnell zum Sinnbild des eleganten höfischen Lebens. Man trank den Tee aus feinem Porzellangeschirr, und schon bald entwickelten sich, nebst zugehörigem Mobiliar wie Tee tischen, auch eine entsprechende Etikette: Die Dame des Hauses kochte und servierte den Tee höchstselbst, und die wertvollen Blätter wurden in aufwendig gearbeiteten Dosen aufbewahrt.
Die Beziehung der Briten zu ihrem Tee ist eng verbunden mit den englischen Handelsbeziehungen und der Geschichte des Empire. Im Jahre 1600 stellte Königin Elisabeth I. der britischen Ostindien-Kompanie einen Freibrief für den Handel mit Indien und Fernost aus. Die Fracht der Kaufleute bestand hauptsächlich aus Tee und Gewürzen sowie aus Seide und Porzellan. Die Ostindien-Kompanie machte massiv Werbung für das neue Getränk, zum Teil auch, um dem anfänglichen Verdacht entgegenzuwirken, der fremdländische Import würde das englische Bier verdrängen. Da sich England und Holland Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts im Krieg mit Frankreich und später im Erbfolgekrieg mit Spanien befanden, schreibt Jane Pettigrew in A Social History of Tea, waren zu dieser Zeit die Handelsrouten für Kaffee aus der Levante unsicherer als die für den Tee der Ostindischen Kompanie. Anfangs tranken die Briten mehr grünen als schwarzen Tee. Doch im Laufe des 18. Jahrhunderts gewannen die schwarzen Teesorten die Überhand. Der fermentierte Schwarztee überstand die lange Reise aus China besser als der frische grüne Tee. Auch die Zugabe von Milch entstand in dieser Zeit, zum einen, weil sie als stärkend galt, was den gesundheitsfördernden Aspekt des Tees weiter förderte, zum anderen weil sie den schwarzen Tee milder machte, mit dem sie auch besser harmonierte als mit den grünen Sorten. Ferner stiegen im 18. Jahrhundert auch die Zuckerimporte. Einige glauben gar, der britische Hang zum Tee ginge Hand in Hand mit einer richtiggehenden Sucht nach Süßem. Es gibt sogar die Theorie, dass die Engländer nur mehr schwarzen Tee tranken, um mehr Zucker zu konsumieren, denn Zucker macht, genauso wie Milch, den gerbsäurehaltigen schwarzen Tee milder.
Zu Beginn war Tee ein wertvolles, teures Luxusgut und somit nur den Wohlhabenden vorbehalten. Doch der Schmuggel blühte, und im 18. Jahrhundert verbreitete sich das Getränk in der gesamten englischen Gesellschaft. Hier waren auch Fälschungen durchaus üblich. Blätter anderer Pflanzen wie Weißdorn, Esche, Holunder und Schlehe wurden als »Tee« verkauft, und falscher grüner Tee wurde mit schädlichem Kupfer gefärbt, vielleicht ein weiterer Grund, warum England zu einer Nation von Schwarztee-Trinkern wurde. Am Ende musste auch die Regierung dieser nationalen Leidenschaft Tribut zollen. 1784 senkte sie im Commutation Act die Steuern von 119 auf 12 Prozent. Inzwischen war das Teetrinken von einer Nachmittags- bzw. Abendbeschäftigung zum Teil des Frühstücks geworden. Samuel Johnson argumentierte in seiner berühmten Verteidigungsrede für das Teetrinken, er sei jemand, »der sich mit Tee am Abend vergnügt, mit Tee um Mitternacht tröstet und mit Tee den Morgen willkommen heißt«. Als die Engländer dann begannen, immer später zu Abend zu essen, öffnete sich am Nachmittag eine »Hungerlücke«. Und der Nachmittagstee mit seinen speziellen erlesenen Speisen wurde zu einer festen Einrichtung in den Salons der viktorianischen feinen Gesellschaft.
1834 verlor die Ostindien-Kompanie ihr Handelsmonopol für China und auch in Indien und andernorts wurden Tee-Plantagen errichtet, um die gestiegene nationale Nachfrage zu decken. Tee wurde leichter erhältlich und billiger, noch in den 1920er-Jahren gingen 60 Prozent der weltweiten Teeexporte nach Großbritannien. Zu jener Zeit trank bereits ganz England Tee. Manche Historiker behaupten sogar, die industrielle Revolution sei eher von Tee als von Bier beflügelt worden. Denn die Arbeiter tranken Tee, der aus ungefährlichem abgekochtem Wasser zubereitet war, der Energie spendete und die Gesundheit förderte. Hausbedienstete bekamen oftmals Teegeld als Teil ihrer Entlohnung, und Tee gab es auch an ihrem Downstairs Day, dem frühen Vorläufer der Teepause. In allen Bereichen inspirierte der Tee Kultur und Mode. Teehäuser wurden Bestandteil des öffentlichen Lebens. Das erste wurde 1864 von der Aerated Bread Company (ABC) eröffnet und ist noch heute eine florierende Institution. Im frühen 20. Jahrhundert kamen Tanztees groß in Mode, ebenso wie Teekleider für eine zwanglose Unterhaltung. Genauso wie die Gewürze, die von der Ostindischen Kompanie nach England gebracht wurden, noch heute aus den Küchen nicht wegzudenken sind, ist auch Tee heute noch ein wichtiger Teil unseres Lebens. Wenn wir aus der Arbeit kommen oder vom Shopping, einen langen Spaziergang gemacht oder einen Nachmittag mit harter Gartenarbeit verbracht haben, freuen wir uns auf eine Tasse Tee. Der Gedanke an eine erfrischende, belebende Tasse Tee ist immer noch ein wichtiger Teil der »nationalen DNS« Großbritanniens.
Fotocredit © Rachel Warne (Foto), aus Kew Gardens. Tees, Tonics & Cocktails, Gerstenberg Verlag
Das Foto und die Texte in diesem Artikel sind aus dem Buch:
Aus dem Englischen von Julia Palma Nunes
Kew Gardens – Tees, Tonics & Cocktails
ISBN 978-3-8369-2131-2
Preis: € (D) 24,95 / € (A) 25,70 / SFr 31,60
Verlag: Gerstenberg
Ein engagiertes, passioniertes Expertenteam präsentiert in diesem Buch leckere Getränkerezepte mit Obst und Kräutern aus den berühmten Gewächshäusern der Kew Gardens. Hier finden Sie vitaminreiche Smoothies, leckere Eistees, erfrischende Limonaden, wärmende Grogs und sogar ein Rezept für Cider! Mit neun Essays über die Kulturgeschichte verschiedener Trinkgewohnheiten. Prächtig illustriert mit historischen Abbildungen aus den Archiven des Königlichen Botanischen Gartens, die in ein frisches, modernes Design integriert wurden.