Urban Gardening – Ernten aus der Kiste
Urban Gardening, dafür steht auch der beispielhafter Stadtteilgarten in St. Pauli: Mitten in Hamburg haben Menschen ihre Ernährung selbst in die Hand genommen. Sie sorgen für Biogemüse und Kräuter frisch vom Kiez.




Ein Garten zieht um
Mitte Juli 2011 rieben sich einige Kiezbewohner in Hamburg-St. Pauli verwundert die Augen. Eine Menschenkarawane in Gummistiefeln mit Kisten, Bollerwagen, Schubkarren voll mit Erde, unter dem Arm Sämlinge und junge Tomatenpflanzen in Töpfen, zog mit geschulterten Gartengeräten an ihnen vorbei. Am Schluss des Zuges balancierten mehr oder weniger stämmige Kerle ein transparentes Foliengewächshaus durch die Straßen. Ein Garten, der wandern kann – die Idee klingt paradox. Steht ein Grünflecken doch gemeinhin für Erdverbundenheit, für Werden und Vergehen der Natur, für ein Wachsen und Blühen, das mit den Jahren intensiver wird. Hier jedoch hatte sich ganz offensichtlich ein Stück Grünfläche mit allem Inventar selbstständig gemacht.
Der Anstoß kam vom internationalen Sommerfestival auf Kampnagel, das unter dem Thema „Gemeingüter“ stand. So war dieser mobile urbane Nutzgarten als Gemeinschaftsprojekt geplant. In ihm durfte jeder säen, pflanzen, wässern und schließlich auch die Ernten verspeisen. Leider stand zunächst kein passender Ort zur Verfügung. So hatte die Pflanzenanzucht im Pfarrhausgarten der St.-Pauli-Kirche begonnen. Dann aber konnte ein altes Parkdeck in der Großen Freiheit bezogen werden, auf dem spezielle Hochbeete aus bunten Kunststoffkisten aufgetürmt wurden.
Grünkonzept auf Europaletten
Diese Idee stammt aus Berlin, wo vor vier Jahren der Filmemacher Robert Shaw
und sein Freund Marco Clausen den Prinzessinnengarten in Kreuzberg am Moritzplatz gründeten. Die beiden waren auf der Suche nach geeignetem Grund für einen Gemüsegarten an die harten Realitätsgrenzen verfügbaren städtischen Bodens gestoßen. So entwickelten sie ihr Grünkonzept als Baukastensystem: Je eine genormte Europalette schultert zwei Lagen mit je vier Kunststoffkisten und bildet somit ein Beet mit einer Fläche von 120 x 80 Zentimetern. Es lässt sich per Hubwagen und Gabelstapler an jeden x-beliebigen Ort transportieren. So sind die Gärtner unabhängig vom Untergrund, können jede Art von Baulücke nutzen und, falls nötig, mit Sack und Pack weiterziehen.
Das Hamburger Modell
Die 1200 Quadratmeter große Betonfläche neben der Hamburger Großdisco „Gruenspan“ war ideal dafür. Sie war zudem sonnig und besaß einen Wasseranschluss. Zeitweise tummelten sich mehr als drei Dutzend Helfer unterschiedlicher Nationalität beim Erdemischen, Kistenfüllen und Einpflanzen. „Es war einfach großartig, mit wie viel Lust und Energie wir dort zusammen gegärtnert haben“, erinnert sich Maria von Lenthe, die zweifache Mutter und freischaffende Künstlerin. Aus der überzeugten Begeisterung für dieses Projekt haben die gemeinsam Gärtnernden den Verein Gartendeck e.V. gegründet. Auf den Kistenhochbeeten, die nach dem Berliner Modell gebaut worden waren, sprossen seitdem im Sommer Radieschen, Spinat, Stangenbohnen, Zucchini, Endivien sowie Kohl, Kräuter und Salate in allen Variationen. Im Foliengewächshaus kamen Andenbeeren, Aubergine, Basilikum, Chili und alte Tomatensorten unter. Auch Reissäcke dienten als Pflanzgefäße. Sie boten Kartoffeln, Mais, Chili und Tomaten Raum zur üppigen Entfaltung. Anfang August war es so weit: Der erste Salat wurde aus dem selbst herangezogenen Grünzeug zusammengemischt. „Ich habe noch nie so etwas Leckeres gegessen“, so Maria von Lenthe. Sie hat sich fürs Gärtnern entschieden, um ihre Sinne im Umgang mit der Natur zu schärfen und die Versorgung mit Lebensmitteln selbst in die Hand zu nehmen.
Einziger Wermutstropfen bislang ist die Ungewissheit, ob der Verein sein Projekt auf dem „Gartendeck“ fortführen kann. Anfang 2012 wurde nach langen Verhandlungen der Vertrag mit dem Verwalter der Fläche, die städtische Sprinkenhof AG, bis Ende 2012 verlängert. Leider beinhaltet das Vertragswerk ab 2013 wieder eine Kündigungsfrist von zwei Monaten. Die Unsicherheit bleibt, der Spaß am gemeinsamen Gärtnern ist ungebrochen!
Mehr unter: www.gartendeck.de