Verrückt nach Frühling

Im lichten Schatten der Laubbäume strahlen die Tulpen um die Wette.

Die Lenzrose erhebt sich aus einem Teppich von blauem Schneestolz und Strahlenanemonen. An die Nordsee oder doch lieber ein Meer aus Blüten auf dem Land genießen? Beim Narzissenfest auf Hof Hilligenbohl haben Gäste die Wahl.

Die Narzissen auf Hof Hilligenbohl, in der Nähe von Niebüll, weisen zwischen Weiß, Gelb und Apricot alle nur erdenklichen Farbnuancen auf.

Auf dem Keukenhof im niederländischen Lisse blühen jährlich sieben Millionen Blumenzwiebeln ... und natürlich auch die ganze Farb- und Sortenvielfalt der großen Tulpenfamilie.

Der Garten von Hetty van Baalen an der niederländischen Nordseeküste wird im Frühling zu einem lebendigen Gemälde.

Romantisches Duett von Tränendem Herz und späten Tulpen auf dem Keukenhof.

Die leuchtenden Farben der Beete bilden einen freundlichen Gegenpol zur dunklen Scheune, so dass der Hofbereich harmonisch und einladend wirkt.

In einer Wildwiese bestechen Narzissen durch ihre zurückhaltende Natürlichkeit.

Spüren Sie das Prickeln?

„Entschuldigung, hätten Sie Lust auf etwas Frühling?“ – „Ach nein, vielen Dank. Danach ist mir in diesem Jahr gar nicht.“ Schon die Frage klingt absurd und die Antwort ist es ohne Zweifel. Deshalb wird sie wohl auch keinem von uns je zu Ohren kommen. Im Gegenteil: Der Frühling wird von Natur- und Gartenmenschen sehnlicher erwartet als jede andere Jahreszeit. Klar hat man Lust auf ihn! Lust auf das anregende Prickeln der ersten warmen Sonnenstrahlen, Lust auf ein Picknick im Freien und Lust auf einen dicken Strauß Narzissen für den Frühstückstisch. Die kleinen Freuden des Lenzes offenbaren sich – je nach Temperament, Alter und Lebensort der Menschen ¬– auf unterschiedlichste Weise. Während der eine sein Bündel schnürt, weil es ihn magisch in Feld, Wald und Wiesen zieht, macht es sich der andere mit Kaffee und Schmöker im Glashaus bequem. So wird ein jeder den Frühling nach seiner Fasson genießen und dabei kaum einen Gedanken an die biologischen Programme verschwenden, die seit Jahrmillionen ein euphorisierendes Grundrauschen erzeugen, von dem alles in der Natur erfasst wird.

Frühling heißt frei sein

Der Frühling verschafft uns eine jährliche Chance zum Neubeginn. Mit allen darin liegenden Möglichkeiten und gänzlich ohne Risiko und Entscheidungsdruck.Das ist im Leben durchaus nicht immer der Fall: den Job kündigen und das eigene Restaurant eröffnen? Haus und Hof verkaufen und den Lebensabend im Ausland genießen? Oder auch einfach nur das Wohnzimmer ausräumen und im geliebten Pistaziengrün streichen? Die Umsetzung kleiner und großer Pläne scheitert häufig an der Angst vor der eigenen Courage. Es könnte ja doch etwas schiefgehen. Wer sich im Zweifel dem Schwung des Frühjahrs hingibt, wird von einer Welle aus positiver Energie über so manche Untiefe getragen. Wie sonst ließe sich erklären, dass viele gute Vorsätze vom Silvesterabend (regelmäßig joggen gehen, endlich einmal die Garage entrümpeln oder eine neue Frisur wagen) erst jetzt in Angriff genommen werden. Fast scheint es, als würde der Frühling uns frei machen.

Alles ist offen!

Für Gartenbesitzer hält der Frühling ein besonders großzügiges Angebot bereit: einen Generalerlass für Fehler und Versäumnisse aus dem Vorjahr und eine Einladung, Veränderungen vorzunehmen. Wer Bäume pflanzen oder Stauden umsetzen möchte, findet frostgaren Boden vor, der noch frei von einjährigen Unkräutern ist. Alles ist offen zu dieser Jahreszeit – und dies ebenso wörtlich wie im übertragenen Sinne. Dieser Umstand klingt nach Verheißung, aber für manchen mag auch ein wenig Furcht mitschwingen. Wenn alles offen ist, dann auch der Ausgang! Das ist wohl wahr, jedoch weiß jeder Gärtner aus Erfahrung, dass vieles im Garten erstens anders kommt und zweitens als man denkt. Nicht selten entstehen die schönsten Bilder, wenn die Natur unsere Skizzen übermalt. Und das tut sie im Frühling besonders übermütig. Kühler Aprilhauch ermöglicht ein Rendezvous von späten Tulpen und frühem Zierlauch; in warmer Mailuft verschmelzen die Düfte von Flieder und Nachtviole. Kein Frühjahr gleicht klimatisch dem anderen, und so dürfen wir uns in jedem Jahr über einzigartige Blütenkombinationen freuen.

Es lebe der Schneeglöckchen-Kalender

Dass der Frühling kommt, ist sicher. Nur ist er nicht immer pünktlich. Oder verhält es sich vielleicht eher so, dass wir mit unserer preußischen Akkuratesse der Leichtigkeit dieser Jahreszeit einfach nicht gerecht werden? Schließlich kommen wir dem Sommer ja auch mit einer Stunde unserer kostbaren Zeit entgegen. Warum also beim Frühling dieses Beharren auf einem fixen Termin? Wer schon immer der Meinung war, dass der Frühling mit dem ersten blühenden Schneeglöckchen beginnt, richtet sich intuitiv nach dem sogenannten phänologischen Kalender. Nach diesem beginnt der Vorfrühling auf der nördlichen Erdhalbkugel tatsächlich mit dem Aufblühen der Schneeglöckchen und der Vollfrühling mit Erscheinen der Apfelblüte. Die Anhänger des allgemein gebräuchlichen astronomischen Kalenders werden ab diesem Jahr übrigens stutzen: von 2012 bis 2048 stehen Sonne und Erde bereits am 20. März in ihrer Frühlings-Konstellation. Einen Frühlingsanfang am 21. März werden erst wieder unsere Ur-Urenkel im Jahre 2102 erleben.

Ganz von Sinnen und Hormonen

Sich der Macht des Frühlings entziehen zu wollen hieße, die Regeln der Evolution außer Kraft zu setzen. Denn der Frühling liegt nicht nur in der Luft, sondern findet auch in unserem Stoffwechsel statt. Sobald die Tage wieder merklich länger werden und mehr Licht spenden, schüttet unser Körper vermehrt das sogenannte Glückshormon Serotonin aus (interessanterweise eine Reaktion auf den Frühling, die wir sogar mit Amöben und Walnüssen teilen). Allgemeines Wohlbefinden und leichte Euphorie machen eine eventuelle Frühjahrsmüdigkeit schnell vergessen! In dieser Jahreszeit viel draußen zu sein und Sonne zu tanken ist ein effektives Wellness-Programm für Körper, Sinne und Seele zum Nulltarif.

Ein David der Jahreszeiten

Glücklich, wer jetzt einen Garten hat oder einen solchen besuchen kann! Der Garten ist die große Bühne des Frühlings. Hier trifft er auf ein Publikum, das ausgehungert ist nach Frische, Formen und Farben; das die Zartheit eines Krokus’ ebenso würdigt wie die Opulenz eines Goldregens. Natürlich gefällt sich der Frühling angesichts der Hingabe seiner Bewunderer. In einem Sympathiewettbewerb der Jahreszeiten läge der Frühling wohl ganz weit vorn. Als David überlistet er stets aufs Neue den goliathgleichen, übermächtigen Winter. Der Frühling zieht das graue Flanellgewand von unserer Landschaft und überzieht sie mit bunten Chiffontüchern. Und dafür muss man ihn einfach lieben!

INFO

Der Text und die zauberhaften Gartenaufnahmen stammen aus dem Buch „Verrückt nach Frühling. Zu Gast in 25 Zwiebelblumengärten“, von Carmen Szadzik (TEXT) und Melitta Kolberg (FOTOS). Sie erhalten es versandkostenfrei über die Fotografin unter www.kolberg-foto.de