Alte Gemüsesorten sind alles andere als altbacken! Mit dem Anbau altbewährter Gemüsearten und -sorten holen Sie sich vielfältige und bisher unbekannte Geschmackserlebnisse auf den Teller und können beispielsweise bei der nächsten Gartenparty mit einem violetten Kartoffelsalat auftrumpfen.
Was heißt eigentlich „alt“?
Gemüsesorten, die aus dem 19. Jahrhundert stammen oder gar noch älteren Ursprungs sind, verdienen besondere Aufmerksamkeit: Denn davon gibt es nicht mehr allzu viele.
Bei den ältesten noch erhältlichen Sorten ist es beeindruckend, dass manche bis heute populär blieben; so z. B. der schon 1885 eingeführte Lauch ‘Carentan’. Anderen, deutlich jüngeren Züchtungen erging es nicht so gut. Ein bekanntes Beispiel ist die Kartoffel ‘Linda’ aus dem Jahr 1974. Im Jahr 2005 vom Markt genommen, wurde sie erst nach großen Protestaktionen von Verbrauchern und Anbauverbänden wieder eingeführt. Vielen Gärtnern und Biozüchtern geht es aber auch gar nicht um Altersrekorde, sondern vor allem um gute Gemüse, die samenfest sind: Das hei.t, man kann diese Sorten selbst weiter vermehren – im Gegensatz zu den F1-Hybriden, deren Saatgut immer wieder neu gekauft werden muss (→ Seite 16). Deshalb wird teils noch als alt. eingestuft, was entstanden ist, bevor solche Hybriden ab den 1980er-Jahren den Markt dominierten. Bei Tomaten z. B. definieren manche auch ganz einfach: Alt ist alles, was vor mehr als 30 Jahren eingeführt wurde.
Ein kurzer Blick zurück
Ein entscheidender Schritt in der Urgeschichte der Menschheit war der Übergang vom Sammeln wilder Pflanzen zum gezielten Anbau. Die Anfänge reichen zurück bis in die Jungsteinzeit vor rund 10 000 Jahren. Im Nahen Osten und in Vorderasien begünstigten damals das fruchtbare Zweistromland und das Klima den Einstieg in den Ackerbau. Dort entwickelten sich auch die frühen Hochkulturen der Sumerer, Perser und Ägypter. Im 3. Jahrtausend v. Chr. war in Ägypten schon eine eindrucksvolle Gartenkultur entstanden. Vieles davon wurde in der Antike zunächst von den Griechen übernommen, bald auch von den Römern. Vor allem die römischen Legion.re importierten dann etliche Gemüse in die germanischen Provinzen.
Kundige Benediktiner
Im frühen Mittelalter begann die Christianisierung Mitteleuropas – teils auch mit Gewalt, woran Karl der Große (747 oder 748–814) kräftig mitwirkte. Er förderte dann aber auch mithilfe von Benediktiner-München die Bildung und den Gartenbau. Mit seiner Verordnung Capitulare de villis. legte er fest, was auf den Kronengütern und Reichshöfen angebaut werden sollte. Die von einem Abt erstellte Pflanzenliste umfasste unter anderem 73 Gemüse und Kräuter. Um dieselbe Zeit entstand der St. Galler Klosterplan – vermutlich aber nicht in St. Leonhart Fuchs (1501–1566) war ein bedeutender Pflanzenforscher. Ihm zu Ehren wurde die Fuchsie benannt. Gallen, sondern im Benediktiner-Kloster Reichenau am Bodensee. Dieser Gartenplan diente seitdem vielen Kloster- und Bauerngärten als Vorbild. Auch einige der wichtigsten mittelalterlichen Werke über Botanik wurden von Benediktinern verfasst: nämlich von Walahfrid Strabo (808–849), Abt des Klosters Reichenau, und von der später heiliggesprochenen Universalgelehrten Hildegard von Bingen (1098–1179), Äbtissin des Klosters Rupertsberg.
Neue Zeiten
Der Beginn der Neuzeit in Europa wurde unter anderem um das Jahr 1450 mit der Erfindung des Buchdrucks eingeläutet. Nun erschienen beispielsweise illustrierte, volkstümliche Kalender mit Gartenratschlägen, die vielfach verbreitet wurden, aber auch gründlichere Werke, bereits mit Hinweisen auf Gemüsesorten. Zu den wichtigsten Fachleuten jener Zeit gehörte der Pflanzenforscher und Mediziner Leonhart Fuchs (1501– 1566). Er zählt heute zu den Vätern der Botanik. Und machte sich besonders mit seinem „New Kreüterbuch“ von 1543 um den Anbau verdient, etwa um die deutschlandweite Verbreitung von Kopfkohl. Die Überseereisen des Italieners Christoph Kolumbus (um 1451–1506) und seiner Nachfolger führten schließlich zu der Entdeckung, dass die Indios Süd- und Mittelamerikas schon lange über fundierte Anbauerfahrung verfügten: von Tomate und Paprika über Kürbis, Mais und Stangenbohne bis zur Kartoffel – das alles war bis dahin in Europa völlig unbekannt. In den folgenden Jahrhunderten wurde das Gärtnern in Deutschland zunehmend Sache des wohlhabenden Bürgertums. Man gründete Gartenbaugesellschaften und importierte Saatgut aus Italien, Frankreich und England. Schließlich brachte das 19. Jahrhundert bahnbrechende wissenschaftliche Erkenntnisse, die entscheidend die weitere Züchtung beeinflussten: allen voran die Vererbungslehre von Gregor Mendel (1822–1884), dem Abt der Brünner Abtei St. Thomas. Ohne Mendel und seine Erkenntnisse aus den legendären Versuchen mit Erbsensorten w.re die heute noch wichtige Kreuzungszüchtung kaum denkbar.
Alle Texte und Fotos in diesem Artikel sind aus dem Buch:
Joachim Mayer
Alte Gemüse neu entdeckt
Preis: 16,99 € (D) / 17,50 € (A) / 21,90 SFr
ISBN: 978-3-8338-6487-2
Verlag: GU
Dieses Buch stellt altbewährte, aber in Vergessenheit geratene Gemüse mit besonderen Eigenschaften vor und gibt hilfreiche Tipps zu Anbau, Geschmack, Optik, Verwendung und der Gewinnung von eigenem Saatgut. Die Stadtgärtner finden hier speziell für Topf und Balkonkasten geeignete Sorten und natürlich gibt es auch ausgewählte Rezepte, die auf die individuellen Geschmacksrichtungen abgestimmt sind. Besonders engagierte Sortenretter aus unterschiedlichen Regionen werden in Reportagen vorgestellt und verraten dort ihre Tipps und Tricks.