Der gute, alte Gartenzwerg. Das bedeutet: Bart, rote Zipfelmütze, ein verschmitztes Lächeln und meistens einen Spaten oder ein anderes Werkzeug zur Hand. So kennen wir unsere traditionsreichen Wichte der Gärten. Die romantisch anmutenden, von manchen als „spießig“ bezeichneten Gartenwichte mit bewegter Vergangenheit können aber auch ganz anders. Fast wild kann man sie heute nennen. Aktuelle Modelle komplett in Pink oder auch „Shocking-Gartenzwerge“ in provozierender Pose sind Spiegelbild des Zeitgeistes und enthüllen die anhaltende Faszination an den kleinen Männern, die nicht nur in Deutschland verbreitet sind. Freuen sie sich auf ein paar pikante Details aus der bewegten Vergangenheit der polarisierenden Zwerge.
Mythologie und Herkunft der Gartenzwerge
Zwerge sind im deutschen Sprachraum schon sehr lange mythologisch verankert. Vor allem im Volksaberglauben und in Sagen spielten sie immer wieder wichtige Rollen. Oft verkörperten sie aufgrund ihrer menschenähnlichen Gestalt die Stärken und Schwächen des Menschen. Sie waren ein Symbol für Fleiß und Weisheit, ganz im Gegensatz zu den plumpen und rohen Riesen. Auch die höfische Welt verfiel dem Zwergenkult: im Zeitalter des Barocks gehörten den adeligen Höfen oft Kleinwüchsige als Unterhalter oder Hofnarren an. Sie galten als besonders lustig und trinkfest. In Folge dieser Entwicklung wurden Künstler und Bildhauer auf die kleinen Gestalten aufmerksam und machten sie zum Vorbild vieler Skulpturen, die vor allem in Schlossgärten der barocken Herrscher zu finden waren. Im „Zwerglgarten“ von Schloss Mirabell in Salzburg kann man heute noch die ältesten erhaltenen Gartenzwerg-Figuren bewundern, welche Ende des 17. Jahrhunderts entstanden sind. Im gesamten 18. Jahrhundert waren die kleinen Gestalten sozusagen ein verbreiteter Modetrend und wurden in vielfältiger Weise abgebildet.
Diese Beliebtheit machte sich Philipp Griebel aus Gräfenroda in Thüringen zunutze. 1890 brachte er die ersten Gartenzwerge aus Ton auf den Markt, welche er in seiner Terrakotta-Fabrik herstellte. Die äußere Erscheinung erinnerte an Bergarbeiter aus der Gegend, mit Spitzhacken und eher ernsten Gesichtern. Auch die Thüringer Firma „August Heissner“ machte sich zur selben Zeit einen Namen im Rahmen der Gartenzwergherstellung. Beide Fabriken stellten handbemalte Gartenzwerge aus Ton bald in Masse her, um der großen Nachfrage im In- und Ausland gerecht zu werden. Nach dieser ausgesprochenen Hochphase litt der Gartenzwerg-Markt jedoch zu Beginn des ersten Weltkrieges an einem heftigen Einbruch und wurde unter den Nationalsozialisten sogar verboten.

Liebe oder Abneigung: wer einmal die Gartenzwerg-Leidenschaft für sich entdeckt hat, bleibt selten bei nur einem Exemplar; oft entstehen sogar kleine Kolonien.
Wiedergeburt und Neuerfindung
Ab 1980 erlebte der Gartenzwerg dann ein Comeback in den deutschen Gärten. Auf der einen Seite waren billige Plastik-Zwerge mit verniedlichten Gesichtern nun sehr verbreitet, auf der anderen Seite gab es Gartenwichte, die keineswegs traditionell daher kamen. Der Trend ging eher jetzt zu provokativen Modellen wie dem „Exhibitionisten-Zwerg“ oder dem „Politiker- Zwerg“. Allein Helmut Kohl war in über zehn verschiedenen Gartenzwerg-Ausführungen zu bewundern. Diese Erscheinung war eine Reaktion auf die als spießbürgerlich betrachteten traditionellen Gartenzwerge, die vor allem in Schrebergärten zu finden waren. Traditionelle Zwerge galten als unoriginell und waren ein Symbol des „Kitschs“. Die von ihnen verkörperten Werte wurden von vielen Ablehnern durch die ironische Darstellung der neuen, meist aus Kunststoff gefertigten „Shocking-Gartenzwerge“ kritisiert. Wer sich einen dieser „Anti-Zwerge“ in den Garten holen möchte, sollte aber bei der Wahl der Geste aufpassen: Bei zu provokanter Geste kann das Aufstellen der ausdrucksstarken Männchen gerichtlich verboten werden.
Moderne und Tradition: die Wichtel-Bewegungen
Neben dieser modernen „Gartenzwerg-Revolution“ gibt es aber auch heute noch genügend Anhänger der traditionellen Form. So hat sich der „Internationale Verein zum Schutz der Gartenzwerge“ mit Sitz in Basel der Verbreitung der sogenannten „Zwergenkunde“ verschrieben und möchte den Fortbestand von „echten“ Gartenzwergen sichern. Laut Satzung des Vereins ist ein „artiger“ Gartenzwerg männlich, hat einen Bart, eine Zipfelmütze und ist nicht über 69 cm groß. Auch ein lateinischer Name für den Gartenzwerg wurde gefunden: Nanus hortorum vulgaris. Gegen Ende der Neunziger entstand eine eher freiheitlich gesinnte Gartenzwerg-Bewegung : Die „Front zur Befreiung der Gartenzwerge“. Sie hat es sich zum Ziel gemacht, Gartenzwerge aus allen möglichen Gärten zu befreien, um sie in ihren „natürlichem Lebensraum“, also in Wäldern oder Wiesen, auszusetzen. Auch in Italien und Frankreich versetzten ähnliche Vereine leidenschaftliche Gartenzwerg-Anhänger für einige Zeit in Angst und Schrecken.

Ein langer Bart zeugt von großer Weisheit – oder nicht?
Kenner wissen: Die Seele steckt im Material
Ursprünglich werden Gartenzwerge aus Ton gefertigt und später bemalt. Diese traditionelle Herstellungsvariante wird als „beseelt“ bezeichnet, da sie aus natürlichem Material bestehen und der Ton atmen kann. Die neuen Formen aus Kunststoff werden hingegen als „unbeseelt“ bezeichnet. Die Massenproduktion der Plastik-Gartenzwerge und der damit zusammenhängende günstige Preis haben die kleinen Männer zum Massenphänomen werden lassen. Beide Formen gelten als typisch deutscher Gartenschmuck, vermutlich auch durch die vermittelten Werte wie Fleiß, Tradition und Beständigkeit.
Die Gartenzwergszene im Ausblick
Ob ironischer Statement-Zwerg oder ganz traditionell mit roter Mütze: die Gestaltung des eigenen Gartens hängt ganz von den individuellen Vorlieben ab. Was die einen als spießbürgerliche und eher rückständige Zwergenfiguren bezeichnen, sind für die anderen niedliche und treue Gartengesellen. Durch den Trend der „Shocking-Gartenzwerge“ wurde die Gartenzwergkultur vor allem hier in Deutschland, aber auch im umliegenden Ländern ziemlich aufgemischt und nahm politische Züge an.
Vermutlich werden uns die kleinen Wichtel noch länger in traditionellen aber auch in den neuen Design-Formen in unseren Garten und Häusern begegnen. Dank der Zunahme des Zwergen-Exports im Ausland werden wir sie in Zukunft auch an fernen und exotischen Orten treffen können. Wer weiß, wo es diese kleinen Männer noch ganz hinzieht. In dem Film „Die fabelhafte Welt der Amelie“ reist ein Gartenzwerg sogar einmal um die Welt. Zwergen-Fans im Ausland gibt es reichlich. Ein Grund mehr, bei der nächsten Reise die Augen nach unseren geschichtsträchtigen und facettenreichen Gartenwichteln offen zu halten.
TEXT: Merle Hildebrandt
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