Der Prinzessinengarten mitten in Berlin-Kreuzberg ist ein beispielloser Ort, wie eine Stadt auch anders aussehen kann.
Prinzessinengarten
Der Prinzessinnengarten mitten in Berlin-Kreuzberg ist eines der größten und bekanntesten Urban-gardening-Projekte Deutschlands. Am Moritzplatz wurde die etwa 6.000 Quadratmeter große, frühere städtische Brache, auf der ehemals das Kaufhaus Wertheim stand, in eine urbane Landwirtschaft voller Leben verwandelt. „Durch die verschiedenen Themen wie Bienen, Werkstätten, Café und Küche, Kunst, Märkte, Workshops, Seminare und natürlich der Garten selbst zieht der Prinzessinnengarten diverse Zielgruppen an, die Vielfalt in die Stadt bringen“, erzählt Stadtgärtnerin Svenja Nette. Wenn man den Blick durch den Garten schweifen lässt, kann man das bestätigen: Neben freiwilligen Helfern, neugierigen Kindergarten und Schulgruppen, streifen auch Studenten, Mütter mit Kindern, Rentner und einige Touristen, heute z. B. aus Italien, Ungarn und den USA, durch den Garten.
Der Prinzessinnengarten ist offen für alle und ein Ort des Lernens, Erfahrens, Ausprobierens und des Austausches. In Kreuzberg, einem Bezirk mit hoher Verdichtung, wenig Grün und vielen sozialen Problemen, ist der Prinzessinnengarten schnell zu einer beliebten Anlaufstelle für das Gärtnern und die Umweltbildung, aber auch für entspannte Stunden geworden. Nachhaltigkeit spielt im Prinzessinnengarten eine große Rolle, etwa bei der Saatgutgewinnung, der Imkerei, der Kompostwirtschaft, dem Verarbeiten und Konservieren von Gemüse oder dem Re-und Upcycling. So werden z. B. aus alten Milch und Saftpackungen Blumentöpfe hergestellt, die an Rankgittern befestigt, einen kreativen vertikalen Garten bilden. Tomaten zieht man in Reissäcken – so werden die Säcke wiederverwendet und die Pflanzen sind mobil. Aus städtischem Restmaterial entstehen neue Möbel für verschiedene Auftraggeber der Stadt – ein schönes Beispiel, wie man große Mengen aussortierter Ressourcen sinnvoll nutzen kann.
Die Entstehung
Im Sommer 2009 haben zwei botanische Laien, der Historiker Marco Clausen und der Filmemacher Robert Shaw, die gemeinnützige Organisation Nomadisch Grün gegründet und die ungenutzte, zugewucherte und zugemüllte Brachfläche mit Unterstützung von Freiwilligen in einen urbanen Garten verwandelt. Nach einem Aufruf der beiden erschienen gleich am ersten Tag etwa 150 Leute, die den Müll mit aufräumten. Im Laufe der Jahre haben tausende Helfer den Prinzessinnengarten in einen lebendigen Nutzgarten und eine für alle offene, soziale und ökologische Landwirtschaft mitten in der Stadt verwandelt. Eine direkte Förderung bekommt der Garten nicht. Pacht, Personal- und Materialkosten, der Aufbau der Infrastruktur und laufende Betriebskosten wer- den unter anderem durch Einnahmen in der Gastronomie und im Gartenbau, durch Führungen und Vorträge sowie den Verkauf von Pflanzen und Erntegut finanziert.
Im Sommer 2012 sollte die Fläche, die sich im öffentlichen Eigentum befindet, meistbietend an einen Investor veräußert werden. Dagegen hat sich breiter Protest formiert. Über 30.000 Unterstützer sowie der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg haben sich für den Erhalt des Gartens ausgesprochen und dafür gesorgt, dass der Pachtvertrag verlängert wird. Derzeit arbeitet der Verein Common Grounds daran, den Prinzessinnengarten langfristig als ein Gemeingut zu erhalten. Dafür initiiert der Verein eine „kollektive Wunschproduktion“, bei der gemeinsam mit Nutzern, Nachbarn, Initiativen und Interessierten Wünsche, Konzepte und Ideen für die nächsten 99 Jahre formuliert werden. Ziel ist es, die Zeiten der Zwischennutzungen zu beenden und die gemeinsam entwickelten Vorschläge verbindlich in die Stadtplanung am Moritzplatz festzuschreiben. Nomadisch Grün, die ursprüngliche Trägerorganisation des Projektes, wird im Jahr 2019 weiterziehen und einen neuen Gemeinschaftsgarten auf einem ehemaligen Teil des Friedhofs Neuer St. Jacobi in Neukölln initiieren, der die oben beschriebene Arbeit dort weiterführen und entwickeln wird.
Gärtnern in der Stadt
Wer Lust hat, Unbekanntes zu erkunden, wird im Prinzessinnengarten bestimmt fündig, denn es gibt dort einige vergessene Gemüsearten zu entdecken. Darunter alte Nutzpflanzen wie Erdbeerspinat, Portulak, Haferwurz oder auch ausgefallene japanische Salatsorten. Hier wird ökologisch angebaut und saisonal geerntet. Die Herkunft, der beste Standort und weitere Besonderheiten werden auf kleinen Tafeln erklärt. Bei den gängigen Gemüsearten setzen die Stadtgärtner auf Sortenvielfalt. „Tomaten werden z. B. in den schönsten Farben und Formen (gelb, rot, grün, getigert, oval oder auch birnenförmig) kultiviert.
Beim Anbau von Gemüse, Kräutern oder Obst verwenden wir nur ökologische Düngemittel und biologische Schädlingsbekämpfung“, erzählt Stadtgärtnerin Svenja Nette. „Und natürlich stammt das Saatgut aus biologisch zertifiziertem Anbau und ist, wenn möglich, auch samen- fest, damit die Sorten später im eigenen Garten nachgezogen werden können.“
Gemeinschaftlich werden über 500 verschiedene Gemüse-und Kräutersorten angebaut. Die Pflanzen wachsen in Hochbeeten, lebensmittelechten Bäckerkisten und Pflanzsäcken, da der Boden durch eine Schuttauflage nicht für den Gemüseanbau geeignet ist. Das Hauptaugenmerk des Gemüsebaus liegt nicht auf einem möglichst hohen Ertrag, sondern auf der Agro-Biodiversität, also dem Erhalt der Sortenvielfalt und der Kommunikation darüber in Form von Seminaren, Führungen und Gesprächen beim Gärtnern. Das geerntete Gemüse wird entweder verkauft, an die Helfer abgegeben oder im angegliederten Gartenlokal zu feinen Gerichten verarbeitet. „Die vielen verschiedenen Sorten, die wir in unserer urbanen Landwirtschaft anbauen, bringen neuen Geschmack auf die Teller, sodass unsere Gäste Lust bekommen, Landwirtschaft bei uns zu erleben. Dabei lernen sie auch, wie viel Arbeit eigentlich dahintersteckt, Gemüse selber zu ziehen“, freut sich Mitbegründer Robert Shaw.
Fotografie: ©Victoria Wegner/Verlag Callwey
Der Text in diesem Artikel ist aus dem Buch:
Renate Künast mit Victoria Wegner
Rein ins Grüne – Raus in die Stadt
Preis 29,95 EUR
ISBN 978-3-7667-2409-0
Callwey Verlag
Das Verlangen danach, Gras unter den Zehen zu spüren und in Kontakt mit der Natur zu stehen, wird größer, je mehr Beton und Gebäude uns umgeben. Dieser Gartenführer erzählt die Geschichte grüner Projekte in deutschen und internationalen Städten. Er porträtiert den Garten an sich und die Köpfe und Charaktere dahinter.